Eltern sein in vier (Ge-) Schichten
Mein Sohn ist Erdforscher. Seit Wochen gräbt er ein Loch zum Erdkern. Gleich nach dem Aufstehen sprechen wir ausgiebig über die verschiedenen Boden- und Erdschichten.
Nachmittags sitze ich fast täglich neben dem grabenden Kind und bewundere seine Begeisterung für die Erde, seine Ausdauer und die immer größer werdenden Steine, die er aus dem Loch befördert. Wir philosophieren über die Herkunft von Ziegelstücken und analysieren die unterschiedlichen Farben der Erde. An Tagen wie heute, da scheint mir die Sonne ins Gesicht und ich bin glücklich.
Manchmal finde ich das alles nicht so spannend. Dann sage ich meinem kleinen Forscher, dass ich in meinem Campingsessel neben dem Loch etwas lesen werde und meine Ruhe möchte. Falls das nicht funktioniert, setze ich mich etwas abseits und schließe die Augen. Ich erkläre ihm, dass ich eine Pause mache, um Kraft zu sammeln.
An anderen Tagen habe ich gar keine Lust darauf, eineinhalb Stunden neben ihm und dem Loch zu sitzen – in der Kälte, in der Dunkelheit oder im Nieselregen. Dann machen wir etwas anderes, worauf wir beide Lust haben.
Während ich ihm beim Buddeln zusehe, wird mir klar: Meine Lust, mit ihm hier zu sein, verändert sich in Schichten – wie die Erde, die er ausgräbt. Dieses Bild mag ich heute mit dir teilen.
Humusschicht: Ich will
Hier ist alles lebendig. Blätter, Nadeln, Pflanzenreste werden von tausenden Lebewesen zersetzt. Alles ist vollgepackt mit Nährstoffen. Es duftet nach Komposterde.
Ich in der Humusschicht: Ich habe Lust. Ich will hier bei dir sein. Ich bin präsent, lebendig, energiegeladen. Lass uns spielen, reden, forschen, basteln.
Oberboden: Ich kann
Hier ist der Boden fruchtbar. Regenwürmer sind aktiv, Wurzeln durchdringen die feuchte Erde. Wachstum geschieht von hier aus.
Ich im Oberboden: Ich bin da. Ich trage Sorge für mich, für dich, für den Haushalt, für unsere Familie. Spiel allein. Wenn du etwas brauchst, bin ich da.
Unterboden: Ich will nicht
Hier mischt sich die Erde zur Hälfte mit Steinen. Es gibt kaum mehr Wurzeln oder kleine Lebewesen. Der Boden ist karg.
Ich im Unterboden: Meine Energie ist verbraucht. Meine Nerven sind gereizt. Ich mag nicht mehr. Nimmst du die Kinder später mit hinaus? Ich brauche mal Zeit für mich.
Muttergestein: Ich kann nicht (mehr)
Hier beißt man je nach Region auf Granit, Löss oder Basalt. Da gibt es kaum mehr was zu holen. Wenn man diese Schicht erreicht, dreht man lieber wieder um.
Ich im Muttergestein: Stopp. Es wird mir alles zu viel, ich spüre den Kloß im Hals. Ich weiß, was mir hilft. Wütend? Ich schreie in ein Kissen. Überfordert? Ich weine. Besorgt? Ich tanze. Erschöpft? Ich schlafe. Und so finde ich meistens wieder nach oben.
Es macht mir gerade Spaß, zu beobachten, in welcher Schicht ich mich befinde. Heute war unser zahnendes Baby den ganzen Tag quengelig. Mein Mann sagte schließlich:
„Ich kann mit der Kleinen spazieren gehen.“
Ich fragte ihn:
„Willst du auch?“
Er schüttelte den Kopf:
„Nein, ich bin total erledigt von den Spätdiensten. Ich würde lieber schlafen.“
Also ging ich mit der Kleinen. Ich wollte nämlich.
Wie oft machst du Dinge, obwohl du nicht willst? Und was würde passieren, wenn du öfter auf deine Bedürfnisse achtest?
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