Weihnachten ohne Erwartungen
„Und wenn’s dir nicht gut geht, Erwartungen runterschrauben, dann geht’s wieder besser.“
Das sagte neulich ein Bio-Bauer am Villacher Bio-Markt zu mir. Solche weisen Worte, die ganz nebenbei fallen gelassen werden, faszinieren mich. Ich vermute, es war eine wichtige Erkenntnis in seinem Leben. Auch für mich ist es zu einer Wahrheit geworden. Erwartungen führen meistens zu Enttäuschungen.
Erwartungen sind wie Stolpersteine, die wir uns selbst in den Weg legen. Sie verhindern, dass wir den Ausblick genießen, weil wir ständig auf den Weg schauen müssen. Und wenn wir doch den Kopf heben und den Blick kurz schweifen lassen, stolpern wir unweigerlich über eines der selbst gelegten Hindernisse. Vor lauter Konzentration auf die Frage, ob das erwartete Ergebnis eintritt, ist da kein Platz mehr für Überraschungen, oder für andere, noch bessere Ergebnisse.
Weihnachten ist ein perfektes Beispiel dafür. So viele Erwartungen werden in diesen Abend hineinprojiziert. Das Haus soll aufgeräumt und festlich geschmückt sein. Die Stimmung soll friedlich und feierlich sein. Ich darf nicht gestresst sein, ganz entspannt soll ich mich fühlen. Das Essen soll allen schmecken, die Geschenke begeistern, die ausgewählte Geschichte amüsieren. Die Kinder sollen leuchtende Augen haben und sich artig benehmen…
Jahrelang waren das in etwa meine Erwartungen – und Weihnachten wurde meistens zum Flop, ich war am nächsten Tag enttäuscht, unerfüllt, traurig. Beim Schreiben der Erwartungen spüre ich heute, wie sich meine Kehle zusammenschnürt. Zum Glück habe ich einen wundervollen Mann geheiratet, der in solchen Momenten einen untrüglichen Blick fürs Wesentliche hat.
Am 24. halb-aggressiv mit dem Staubsauger rund um das spielende Kind noch schnell sauber machen? Nicht bei uns. „Mein Schatz, das ist doch heute nicht wichtig. Komm, setz dich zu uns und bau mit uns einen ganz hohen Turm.“ Am 24. ein Fünf-Gänge-Menü kochen? Nicht mit meinem Mann. Er bereitet schon am 23. herrliche Aufstriche, Fisch-Tartar, kalte Platten vor, friert frisches Weißbrot ein. Am Heiligen Abend gibt es kaum noch etwas zu tun.
Am Heiligen Abend geht es bei uns nicht mehr um den perfekten Abend. An diesem einen Tag geht es um ein Gefühl, das wir in uns kultivieren und den Kindern weitergeben. An diesem Tag geht’s nicht um Perfektion im Außen, sondern um das, was wirklich zählt. Es geht um die Kinder, die Familie, ums Anteilnehmen an der Welt des anderen, sich Zeit füreinander nehmen, gemeinsam faulenzen, kreativ sein, wild sein – was auch immer uns einfällt.
Während das Licht draußen immer weniger wird, gehe ich mit den Kindern noch mal raus in den Garten. Wir hängen den Vögeln frisches Futter raus und wünschen unseren Nachbarn frohe Weihnachten. Beim Heimkommen sehen wir schon durchs Wohnzimmerfenster, dass die Kerzen am Baum brennen. Das Christkind war da.
Und der Abend? Der wird so, wie er eben wird. Mein Mann liest die Bibelstelle, während der Große zum fünften Mal fragt, wann er endlich die Geschenke auspacken darf. Die Lieder werden gemeinsam gesungen und die kindliche Geduld endgültig auf die Probe gestellt. Schließlich werden die Geschenke ausgepackt, gespielt, gelacht, geweint, gebaut… Dann gemeinsam gejausnet. Alles chaotisch, bunt und unberechenbar – wie jeder Tag im Leben mit kleinen Kindern. Und das ist doch eigentlich das größte Geschenk.
Was ist für dich am Heiligen Abend das „Wesentliche“?