Bewerten macht Spaß

Ich habe lange versucht, nicht zu bewerten – weder mich selbst noch andere. Aber das ist echt schwer. Zu schwer. Mein Kopf denkt einfach, was er will. Diese Bewertungen lassen sich nicht abschalten. Mittlerweile will ich das auch gar nicht mehr, denn manchmal entsteht daraus etwas ziemlich Lustiges.


Wenn mein Kopf also mal wieder in seine Bewertungslust verfällt, versuche ich zumindest, mich nicht dafür fertigzumachen: „Mist, schon wieder eine Bewertung! Ich bin so ein wertender Ungustl!“… Das bringt natürlich niemandem etwas.


Stattdessen erkenne ich die Bewertung als das, was sie ist: eine Irritation in meinem System. Ich sage mir: „Aha, spannend, das nervt mich also.“ Und dann heiße ich die Irritation willkommen: „Ha, wunderbar, eine Irritation! Das könnte spannend werden.“ . So nehme ich meine Neugier an der Hand und gehe der Sache auf den Grund. Was genau nervt mich da eigentlich?


Meistens finde ich dabei eine kleine oder größere Erkenntnis. Und wenn ich besonders neugierig bin, frage ich auch mein Gegenüber: „Spannend, so siehst du das also? Warum? Erklär mir das, ich verstehe es nicht.“ Oft ergibt sich daraus ein Austausch, bei dem ich sogar noch nachfrage, ob mein Gegenüber wissen möchte, warum ich selbst anderer Meinung bin oder etwas anders mache.


Meistens verstehen wir dann beide, dass eine andere Meinung nicht bedeutet, dass jemand ein Trottel ist. Es heißt einfach, dass dieser Mensch andere Werte, Erfahrungen, Beweggründe, Lösungsansätze oder Strategien hat – oder vielleicht sogar ähnliche Bedürfnisse, die er nur anders ausdrückt.


Das lohnt sich. Es macht Spaß. Und es schafft Verbindung – in einer Zeit, die oft von Spaltung geprägt ist.


Ein Beispiel aus der Praxis:

Eine Köchin sagte einmal zu mir: „Mir ist regional wichtiger als Bio.“ Mein Kopf begann sofort zu bewerten. Aber anstatt darauf einzusteigen, lächelte ich über mein Gedankenkarussell und fragte: „Spannend, warum ist dir regional wichtiger als Bio?“ Sie antwortete: „Weil wir unsere Bauern stärken müssen. Ich brauche keine Paprika aus Spanien, wenn sie bei uns auch wachsen.“


Hm. Da hat sie recht. Das sagte ich ihr dann auch. Und ich fragte weiter: „Willst du wissen, warum ich finde, dass Bio total wichtig ist?“ Sie antwortete: „Ja.“ Also erklärte ich:


„Es gibt einen Weltagrarbericht, der untersucht, wie wir den Welthunger beenden und gleichzeitig das Klima schützen können – durch mehr Gentechnik und Spritzmittel oder durch ökologische, nachhaltige Produktion. Die 400 Experten, die diesen Bericht geschrieben haben, sind sich einig: Der einzige Weg ist die ökologische Landwirtschaft. Deshalb setze ich, wo immer ich kann, auf Bio.“


Sie sagte: „Aha, interessant, das höre ich zum ersten Mal.“ Und dann redeten wir darüber, wo sie regional erschwingliche Bio-Lebensmittel kaufen könnte. So könnte sie gleichzeitig die lokale Wirtschaft ankurbeln, Bauern stärken und das Klima schützen. Win-Win-Win.


Gelernt habe ich das übrigens unter anderem bei Alfred Strigl – und das mit einer Menge Spaß. Mit Spiel und Freude lernt man eben am besten. Danke, Alfred.