Apokalyptischer Reiter Nr. 2: Rat-Schlag

„Na, wie geht’s?“

„Gut danke, dir? Schläft die Kleine schon brav?“

„Haha, nein, sie wacht jede Nacht mehrfach auf…“

„Dann musst du abstillen und auf Flaschi umsteigen, dann wird‘s besser!“


So oder so ähnlich laufen Gespräche zwischen Eltern allzu oft ab. Dabei vergeht mir jegliche Lust, dieses Gespräch weiter zu führen.


Warum ich auf ungebetene Rat-Schläge gern verzichte

Warum ein Bindestrich zwischen Rat und Schlag? Weil Rat-Schläge mich oft wie ein kleiner Schlag in die Magengrube treffen. Manche meinen wohl, ein Rat-Schlag sei stets gut gemeint und bringt die dringend gesuchte Lösung für ein Problem.

Man könnte auch sagen: Er ist eine Einmischung in die Welt des Gegenübers – ohne dessen Situation, Werte oder Wünsche wirklich zu kennen.


Es ist so, als würde ich sagen:

„Ich bin in letzter Zeit so vergesslich geworden, ständig verlege ich meine Brille.“

Und du sagst:

„Nimm einfach meine!“

Nein, danke! Die ist unbrauchbar. Die passt nicht. Die hilft mir nicht.


Kleine Artenkunde der gemeinen Rat-Schläge

Es ist wirklich skurril, was man alles erlebt als Eltern. Ich habe mir einen Spaß draus gemacht, ein Sammelsurium zu erstellen aus den vielen Rat-Schlägen, die ich erhalten habe. Hast du noch eine Kategorie für uns? Immer her damit!


Der Rat-Schlag aus dem Off


Dein Baby weint im Wagen, du nimmst es aus dem Fellsack und wiegst es kurz. Dann hörst du plötzlich von einer fremden Person:

„Dem Kleinen wird kalt sein, der hat ja viel zu wenig an.“

Aaah! Danke! Welch Glück, dass Sie mein Baby besser kennen als ich!



Der nostalgische Rat-Schlag


Du hattest drei Stunden Schlaf, hast ungefähr 17 ungestillte Grundbedürfnisse und triffst eine alte Bekannte.

Sie sieht dein süßes Kind und flötet:

„Genieß die Zeit, sie geht so schnell vorbei!“

Natürlich, danke für die Erinnerung. Die nächsten zwei Jahre ohne Durchschlafen werden bestimmt wie im Flug vergehen.



Der aus der Zeit gefallene Rat-Schlag


Dein Baby weint ins Babyphon, du springst auf und willst zu ihm gehen. Da bekommst du gesagt:

„Lass es ruhig schreien, wirst sehen, dann lernt es sich selbst zu beruhigen.“

Klingt plausibel. Wenn ich Angst hab, bin ich auch am liebsten ganz allein im Dunklen.



Der früher-war-alles-besser Rat-Schlag


Du erzählst, dass dein Kind beim Essen recht pingelig geworden ist. Dein Gegenüber kontert:

„Früher haben wir das gegessen, was auf den Tisch gekommen ist.“

Ja, und früher wurden Kinder auch mit dem Gürtel gezüchtigt und man fuhr unangeschnallt auf der Hutablage mit. Voll das goldene Zeitalter.



Der gut gemeinte No-Na-Rat-Schlag


Du trägst dein Baby stundenlang, es lässt sich nicht ablegen. Du wagst es, über Rückenschmerzen zu klagen. Dein Besuch hat die Lösung parat:

„Nimm sie einfach in die Trage, wenn sie dir zu schwer wird.“

Ah! Danke! Leider wird ein Baby auch in der Trage schwer. Vor allem nach dem dritten Nickerchen in der Trage.



Der spirituelle Rat-Schlag


Du erzählst, dass du völlig erschöpft bist, weil dein Baby abends stundenlang schreit.

Die Antwort kommt mit milder Stimme und leichtem Kopfschwenk:

„Vielleicht spiegelt dein Kind einfach deine innere Unruhe.“

Perfekt. Dann muss ich mich nur neben diesem 100 Dezibel lautem, gellenden Geschrei in Tiefenentspannung versetzen und alles wird gut.



Der absurd konsequente Rat-Schlag


Du bist verunsichert, weil dein Kleinkind seit Tagen nur Butterbrote essen will. Eine Influencerin hat die Lösung parat:

„Wir haben das mit einem wöchentlichen Essensplan und einem Gemüsepunktesystem mit Sammelpass gelöst – wenn sie 5 Mal Gemüse essen, dürfen sie sich ein Youtube-Video anschauen. Das motiviert die Kids total!“

Natürlich. Ich dichte gleich noch eine Brokkoli-Hymne.



So lustig das klingen mag, es nervt. Es belastet. Was kann man stattdessen tun, wenn Eltern über die weniger schönen Seiten des Elternseins klagen?


Zuhören oder Lösung suchen?


Meistens wollen Eltern gar keine Lösung, sondern Entlastung durch Empathie, Verständnis, das Gefühl, nicht allein zu sein, gesehen werden für das, was sie alles tragen, ein Schulterklopfen, eine Umarmung.


Brené Brown bringt es auf den Punkt mit der Frage:


„Möchtest du, dass ich dir zuhöre oder wollen wir eine Lösung suchen?“


Diese Frage hilft mir im Umgang mit meinen Freund:innen sehr. Auch ich verspüre oft genug den Drang, eine Lösung anzubieten. Es passiert mir auch nach wie vor, dass ich Rat-Schläge austeile. Doch meistens ist unser Gegenüber überaus kompetent und weiß am besten, was er oder sie braucht. Und wenn nicht, frag vorsichtig: „Möchtest du hören, was mir an deiner Stelle helfen würde?“.

Wie siehst du das? Haben dir Ratschläge auch mal geholfen? Welche nerven dich besonders? Wie gehst du selber mit Lösungsideen um, die dir beim Zuhören kommen?

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